Der Pragmatisch Erfahrungsorientierte Ansatz und die Auseinandersetzung mit Verachtung

Verachtung wurde in der Paarforschung als der schädlichste Faktor in Paarbeziehungen erkannt (bzw. als wichtigster Prädiktor für Scheidung). In den meisten Paartherapieansätzen wird dies leider noch heute vernachlässigt. John Gottman beschreibt in seinem Buch „The Science of Trust“ (2011), wie bei Paaren ein Schalter umkippen kann, wobei die Paare aus einer grundlegend eher positiven Sichtweise ihres Partners in eine grundlegend eher negative Sichtweise gelangen. Seine Schlussfolgerung ist, dass an diesem Punkt wohl eine Trennung sinnvoll sei. Auch Prof. Atkinson spricht von einer entscheidenden Linie, die nach Jahren von chronischen Konflikten oft überschritten wird – einer subtilen, aber sehr weit verbreiteten Form der Verachtung. Seine Schlussfolgerung ist anders: Wenn diese Linie überschritten wurde, wird die Paartherapie nur dann eine Wirkung haben, wenn diese Art der Verachtung überwunden werden kann. Deshalb ist die erste Phase der Paartherapie bei denjenigen Paaren, welche diese Linie überschritten haben, der Überwindung der Verachtung durch die von Prof. Atkinson entwickelten Interventionen gewidmet.

 

Das Kommunikationsmodell des Pragmatisch Erfahrungsorientierten Ansatzes

In der Paarforschung wurden schädliche und konstruktive Gewohnheiten der Gesprächsführung so detailliert definiert, dass es möglich ist, mit einer Analyse der ersten drei Minuten einer Auseinandersetzung mit 96 prozentiger Sicherheit den Ausgang der Diskussion vorherzusagen. Wird der Konflikt mit einem harschen Beginn eröffnet (Vorwürfe, Kritik, Abwertungen, Rechtfertigungen, Zurückweisungen usw.), wird er enttäuschend enden. Wird die Auseinandersetzung hingegen mit einem sanften Beginn eröffnet (auf der Grundlage von Gleichwertigkeit und gegenseitiger Akzeptanz), wird sie mit gegenseitigem Verständnis enden und meist zu einem für beide Seiten guten Kompromiss führen.

 

Der Pragmatisch Erfahrungsorientierte Ansatz vermittelt, 1) wie ein sanfter Einstieg erfolgt; 2) wie das Gespräch positiv gewendet werden kann, obwohl ein harscher Einstieg erfolgt ist.

 

Im Gegensatz zu vielen anderen Kommunikationsmodellen (die oft v.a. Sprecher- und Zuhörerregeln definieren) wird der inneren Haltung viel Gewicht eingeräumt. In der Paarforschung konnte eindeutig gezeigt werden, dass es zwar wichtig ist, was wir sagen, aber wirklich entscheidend ist, was wir denken. Wenn wir kritisch-abwertend über unseren Partner denken, aber versuchen, mit sanften Worten zu reden, wird dem Partner über unsere Mimik, Gestik und unseren Tonfall dennoch zielsicher Kritik und Abwertung vermittelt. Das Gesagte wird beim Partner eine ablehnende Haltung (Verteidigungshaltung) hervorrufen und möglicherweise in eine Eskalation führen. Wenn wir aber lernen, in schwierigen Situationen uns selbst zu beruhigen und in eine offene, flexible Haltung zu gehen, wird dies ebenfalls über Mimik, Gestik und unseren Tonfall eine positive Wirkungen auf unseren Partner haben und deeskalierend wirken.